24.09.2024 | Webmagazin 2024/04 Netzausbaupläne nach § 14d EnWG

Wie hoch ist der Investitionsbedarf in den Stromverteilnetzen? Dr. Markus Kraiczy | Kevin Löer
markus.kraiczy@bet-energie.de

Ende April dieses Jahres haben 82 Verteilnetzbetreiber ihre Netzausbaupläne für die Jahre 2028, 2033 und 2045 veröffentlicht. Erstmals enthalten die Netzausbaupläne neben den Investitionsbedarfen für die Stromnetzinfrastruktur im Hochspannungsnetz auch die Investitionsbedarfe in den Mittelspannungsnetzen und teilweise auch in den Niederspannungsnetzen. Zusammenfassend lässt sich anhand der Netzausbaupläne für die Entwicklung der Verteilnetzinfrastruktur feststellen: es gibt sehr viel zu tun, es besteht teilweise dringender Handlungsbedarf und die ausgewiesenen Investitionssummen sind erheblich. 

Nach § 14d EnWG waren Verteilnetzbetreiber mit mehr als 100.000 Kunden und Verteilnetzbetreiber mit relevanter Abregelung von Wind- und Solaranlagen aufgefordert, ihre Netzausbaupläne bis zum 30. April 2024 zu veröffentlichen. Die Netzausbaupläne umfassen die Szenarien und die daraus resultierenden Netzausbaumaßnahmen für die Netzebenen 3 (Hochspannung) bis 6 (MS/NS Ortsnetzstation) und die Planungsjahre 2028, 2033 und 2045. Die Netzebene 7 (Niederspannung) wurde von der BNetzA abgefragt, ist aber nach § 14d EnWG nicht gefordert. 
Wir haben uns die 82 Netzausbaupläne genauer angesehen und die wichtigsten Erkenntnisse für Sie zusammengefasst: 

Ein Standardformat für die Netzausbaupläne besteht noch nicht. 
Daher unterscheiden sich die Inhalte und Bezugsgrößen in den Netzausbauplänen teilweise deutlich und erschweren die Vergleichbarkeit der Szenarien und Investitionsbedarfe. Für die nachfolgenden Auswertung wurden nur Netzausbaupläne berücksichtigt, in denen die Ausbauzahlen und Netzstrukturdaten vollständig zugeordnet werden konnten.

Die Regionalszenarien orientieren sich weitgehend am Szenario B des Szenariorahmens 2037/2045 zum Netzentwicklungsplan. 
Allerdings haben nicht alle VNBs das jeweilige Regionalszenario auf ihr Versorgungsgebiet heruntergebrochen. Teilweise wird nur allgemein auf das Regionalszenario verwiesen. Zudem erschweren unterschiedliche Bezugsgrößen (installierte Leistung, netzwirksame Leistung, Stromverbrauch oder Stückzahlen) die Vergleichbarkeit. 

Die betrachteten Netzausbaupläne weisen einen Investitionsbedarf in die Netzinfrastruktur von über 55 Mrd. € bis 2028 aus. Bis 2045 steigen die ausgewiesenen Investitionsbedarfe auf über 180 Mrd. € an. 
Die Vollständigkeit der Netzausbaupläne variiert jedoch stark je Netzebene. Nur wenige Netzausbaupläne weisen die Investitionsbedarfe in der Niederspannung (Netzebene 7) aus. Während die berücksichtigten Netzausbaupläne in der Mittelspannung ca. 75% der gesamten MS-Leitungslänge in Deutschland repräsentieren, sind es in der Niederspannung nur ca. 25% (siehe Abbildung). In den Investitionsbedarfen sind reine Ersatzmaßnahmen nur bei einem Teil der Netzbetreiber enthalten. Auch hier zeigt sich also ein uneinheitliches Vorgehen in den Netzausbauplänen.

Innovative Maßnahmen wie Spitzenkappung oder Flexibilitätseinsatz von Netznutzern wird nur vereinzelt (Spitzenkappung) oder noch gar nicht (Flexibilitätsnutzung) in den Netzausbauplänen berücksichtigt.
Einige Netzbetreiber weisen in den Netzausbauplänen darauf hin, dass unter den aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen die Abschätzung der Flexibilitätspotenziale mit großer Unsicherheit behaftet ist und keine einheitlichen Vorgaben möglich sind. Sofern die regulatorischen Rahmenbedingungen geeignet weiterentwickelt werden, ist zumindest mittel- bis langfristig ein relevantes Einsparpotenzial beim Verteilnetzausbau durch die Nutzung von Flexibilitäten zu erwarten.

Ein in den Netzausbauplänen häufig identifizierter Engpassbereich stellen die HS/MS Umspannwerke dar. 
Einige VNB weisen bis 2028 bereits mehr Umspannwerksmaßnahmen aus, als sie aktuell Umspannwerke besitzen. Die Erweiterbarkeit bestehender Umspannwerke ist häufig durch den Platzbedarf stark limitiert. Standortsuche, Planung, Genehmigung und Bau neuer Umspannwerke benötigen lange Vorlaufzeiten von teilweise mehr als 5 Jahren und es ist bei einigen VNB bereits aktuell eine hohe Dringlichkeit zur Erhöhung der Umspannwerkskapazität festzustellen. 

Die angesetzten Kosten für Leitungs- und Stationsmaßnahmen variieren sehr stark je Netzbetreiber. 
Dies ist zum Teil auf lokale und regionale Unterschiede, aber auch auf unterschiedliche Preisstrategien im Umgang mit unsicheren Preisentwicklungen zurückzuführen. Die Kosten für Betriebsmittel (Transformatoren und Kabel) unterlagen in den letzten Jahren deutlichen Preisanstiegen und auch die zukünftige Preisentwicklung ist u. a. aufgrund der identifizierten massiven Investitionsbedarfe sehr unsicher. Auch lange Wartezeiten für Betriebsmittel können den Netzausbau im Verteilnetz massiv verzögern. 

Auch wenn die Netzausbaupläne im Gegensatz zum Netzentwicklungsplan der ÜNB nicht verbindlich sind, wird in den Netzausbauplänen deutlich: 

  • Der Ausbau der Verteilnetzinfrastruktur wird die Verteilnetzbetreiber in den nächsten Jahren vor erhebliche Herausforderungen stellen, z.B. hinsichtlich der Finanzierung, der Maßnahmen- und Personalplanung oder der Sicherung von Dienstleistungskapazitäten.
  • Die Netzausbaupläne wurden von den 82 größeren Verteilnetzbetreibern erstellt, die ca. 800 kleineren Verteilnetzbetreiber sind nicht minder von Infrastrukturmaßnahmen betroffen.
  • Jeder VNB, unabhängig von seiner Größe, sollte frühzeitig eine langfristige Netzentwicklungsstrategie für das eigene Stromnetz erstellen und konkrete Maßnahmenpläne entwickeln. 


Für Fragen zur strategischen Netzentwicklung, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. 
 


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