27.06.2024 | Webmagazin 2024/03 Kooperationen – eine Anleitung zur kritischen Bestandsaufnahme

Dr. Olaf Unruh
olaf.unruh@bet-energie.de

Die strategischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Herausforderungen für Stadtwerke lassen nicht nach. Die Stadtwerke sind gefordert, ihren Kunden mehr als nur einen Strom- und Gasliefervertrag anzubieten oder einen Hausanschluss bereitzustellen. Viele Stadtwerke haben dies erkannt und sich auf den Weg gemacht, umfassende Leistungsangebote für eine dezentrale und klimaschonende Energieversorgung zu entwickeln. Nun erkennen sie aber, dass dieser Weg allein überaus beschwerlich ist. Der Aufbau neuer Geschäftsmodelle, obgleich alternativlos, bedarf großer Investitionen. Er erfordert neue Prozesse und neue Kompetenzen. Hier können bedarfsgerechte Kooperationsformen eine echte strategische, wirtschaftliche und organisatorische Lösung darstellen.

Einordnung 

In unserer Studienreihe zum EVU 2030 beleuchten wir die zukunftsfähige Aufstellung eines Stadtwerkes aus strategischer, wirtschaftlicher, organisatorischer und Kundenperspektive. Dabei thematisieren wir aus diesen Blickrichtungen auch immer wieder die Fragen nach „der“ richtigen Struktur, „der“ richtigen eigenen Leistungstiefe, „den“ richtigen Geschäftsmodellen, „der“ richtigen Finanzierung und „den“ richtigen Kompetenzen. Dabei muss klar sein, dass es „den“ einzig richtigen Ansatz nicht gibt. Vielmehr ist die richtige Antwort immer für die individuelle Situation des Stadtwerks zu finden. Teil einer zukunftsgerichteten, handlungsleitenden Antwort muss aber immer sein, wie das Stadtwerk sich in seinem Netzwerk aus Dienstleistern und Partnern, Mitbewerbern, Investoren und Start-ups positionieren will. Im Folgenden werden zunächst die Kooperationsformen systematisiert und anschließend eine Anleitung zu einer kritischen Bestandsaufnahme gegeben.

Kooperationsformen – von der Kommunikationsplattform bis zur Fusion

Die Formen der Kooperation unterscheiden sich im Wesentlichen in der Kooperationstiefe. In den Ausprägungen ergeben sich spezifische Chancen und Risiken, die im Einzelfall abzuwägen sind. Mit zunehmender Kooperationstiefe erhöht sich auch die Abhängigkeit zwischen den Partnern. Eine Übersicht zu den Kooperationsformen wird nachfolgend dargestellt:

Grafik Kooperationsformen (PDF)

Anleitung einer kritischen Bestandsaufnahme

Die Initiative, sich mit einer Kooperation zu befassen, kann „aus den eigenen Reihen“ (Geschäftsführung, Management, Gremien) kommen oder von außen (andere Stadtwerke, Verbände, Politik, Berater) herangetragen werden. In Gesprächen mit den verschiedenen Akteuren aus beiden Gruppen fällt auf, dass die Urheberschaft von beiden beansprucht wird – zumindest solange das Projekt gut läuft oder bereits erfolgreich umgesetzt wurde. Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter und Mütter.

Zielsetzungen benennen

Im besten Fall entwickelt sich die Befassung mit einer Kooperation aus einem geordneten Strategieprozess. Dann wird sich aus der (Weiter-)Entwicklung der Strategie auch die strategische Rationalität ergeben. Treiber  sind dabei typischerweise Kostensenkung, verbesserte Ausschöpfung von Investitionsbudgets, bessere Personalauslastung, Risikoteilung bei Aufbau neuer Geschäftsmodelle sowie Know-how-Gewinn, verbunden mit der eigenen Konzentration  auf die Kernkompetenzen.

Voraussetzungen definieren

Bürgermeister, kommunale Aufsichtsräte und auch das obere Management der Stadtwerke betonen regelmäßig die überragende Bedeutung der Erhaltung des Markenkerns als Stadtwerk und – im Falle einer Kooperation mit einem privaten Partner – die Aufrechterhaltung des kommunalen Einflusses.

Zielt die Kooperation auf eine Effizienzsteigerung ab, so spielt das sensitive Element der gerechten Verteilung von Früchten und Lasten aus einer Synergiehebung oder sonstigen Effizienzsteigerung eine wichtige
Rolle – hier sollte die Kooperation in Summe ein symmetrisches Bild zeigen und nur vertretbare
Arbeitsplatzreduzierungen hervorbringen, die sozialverträglich gehandhabt werden können.

Zweifellos ebenso wichtig ist die persönliche Perspektive der Treiber  der Kooperation:
Eine Destabilisierung oder Verschlechterung der Position eines Geschäftsführers z. B ist sicherlich keine motivatorische Triebfeder für ein Kooperationsprojekt.

In den Bundesländern unterschiedlich restriktiv formuliert und gehandhabt, sind doch die Gestaltungsmöglichkeiten der Kooperation durch die Gemeindeordnung zu berücksichtigen.

Kooperationsfelder identifizieren

Aus einer SWOT-Analyse (Strenghs (Stärken) – Weaknesses (Schwächen) – Opportunities (Chancen) – Threads (Risiken)) im Rahmen des Strategieprozesses ergeben sich die Bedarfe einer verstärkten Zusammenarbeit mit Partnern. Kooperationen werden häufig angestrebt, um eigene Kernkompetenzen einzubringen und noch nicht so weit entwickelte Unternehmensbereiche oder -funktionen durch den Partner zu verstärken. Eine Folge davon ist nicht selten, dass angebotene und nachgefragte Funktionen deutlich auseinanderfallen.

Kooperationsform auswählen

Je nachdem, von wem die Initiative ausgeht, werden in Workshops mit den relevanten Interessengruppen Varianten einer strategischen Partnerschaft mit unterschiedlichen Kooperationstiefen betrachtet. Übergeordnetes Ziel ist die Ausarbeitung einer strategischen Partnerschaft, um zukünftigen Herausforderungen gemeinsam, kosteneffizient und nachhaltig begegnen zu können. Es werden K.O.-Kriterien definiert, die den Variantenraum in der Regel bereits stark eingrenzen. K.O.-Kriterien führen zum sofortigen Ausschluss einer Variante von der weiteren Betrachtung. So ist sichergestellt, dass alle verbleibenden Varianten grundsätzlich geeignet sind, die formulierten Anforderungen zu erfüllen.
Die verbleibenden Varianten werden einer Nutzwertanalyse unterzogen. Hierzu werden Bewertungskriterien und deren Gewichtung abgestimmt. Diese leiten sich aus einer Analyse von „Erfolgstreibern“ und „Erfolgsverhinderern“ verschiedener Kooperationen ab. 

Bei den Formen der Kooperation stehen für die Stadtwerke der Abschluss von Serviceverträgen als weiche und die Gründung von Kooperationsunternehmen als manifestere Form im Vordergrund. An eine direkte Fusion denkt zunächst nur eine Minderheit der Gesprächspartner und wenn dann eher als Zielbild in einem mehrstufigen Prozess. Auch der wechselseitigen Übernahme von zentralen Funktionen durch jeweils eines der kooperierenden Stadtwerke (Prinzip der Leadgesellschaft) stehen die Unternehmensleitung und das mittlere Management zumeist skeptisch gegenüber. Angeführter Grund ist in erster Linie die Aufgabe von Kompetenz auf Basis einer doch eher losen vertraglichen Zusammenarbeit.

Fazit

Die Herausforderungen für Stadtwerke bleiben bestehen: Aufsichtsgremien und Unternehmensleitung müssen einerseits Innovationen fördern und andererseits die wachsende Komplexität beherrschen. Kooperationen können dazu beitragen, die Zukunft nachhaltig zu sichern.
Für eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft ist von allen Seiten weniger Kirchturmdenken und mehr „rationaler Mut“ zu unternehmerischem Risiko gefordert. Eine kritische neutrale Bestandsaufnahme im Vorfeld eines Kooperationsprojektes kann die Erfolgswahrscheinlichkeit schnell ermitteln.


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