06.02.2023 | Webmagazin 2023/01 Buzzword „Spartenübergreifend“

Notwendigkeit der abgestimmten Zielnetzentwicklungen in Strom/Gas/Fernwärme Valerie Kelemen
valerie.kelemen@bet-energie.de

Bei den meisten Verteilnetzbetreibern läuft es bisher so: Die Netzplanung erfolgt getrennt für Gas, Strom und Fernwärme – oftmals kurz- bis mittelfristig und an konkreten Auslösern (bspw. Neubaugebieten) orientiert. Spartenübergreifend stimmt man sich vorrangig im Rahmen der Umsetzungsplanung ab (bspw. bei Tiefbauarbeiten). 
Im Zuge der Energie- und Wärmewende und der damit verbundenen Sektorenkopplung ist abzusehen, dass sich immense infrastrukturelle Veränderungen anbahnen, von denen alle Sparten betroffen sind. Dies erfordert, sich aktiv über eine spartenübergreifende Netzentwicklung – also Planung mit langfristigem Horizont – Gedanken zu machen. 
 

Hauptziel sollte dabei die Robustheit des Gesamtversorgungssystems sein; Einzeloptimierung und Konkurrenz zwischen den Sparten treten in den Hintergrund. Systemische Robustheit entwickeln, bedeutet, sich ganzheitlich auf unterschiedliche Zukunftsszenarien vorzubereiten, um flexibel reagieren zu können.

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Strom-, Gas- und Fernwärmenetze spartenübergreifend geplant und Netzentwicklungen in ein abgestimmtes Gesamtbild überführt werden sollten: 

  • Aufgrund der Klimaziele werden Kunden vermehrt zum Wechsel der Wärmeversorgungstechnologie aufgerufen. In Abhängigkeit verschiedener Faktoren (Gebäudetyp, Sanierungsraten etc.) werden Haushalts- und Gewerbekunden beispielsweise von „Erdgas“ zu Wärmepumpen wechseln – d. h., als bisherige Erdgaskunden wegfallen und als Stromkunden in der Wärmeversorgung hinzukommen. Bei Industriekunden rückt eine Versorgung über Wasserstoff oder eine Umstellung auf strombasierte Wärme in den Vordergrund. Kundenverschiebungen zwischen den Sparten werden sich zunächst im Absatz widerspiegeln, langfristig aber Auswirkungen auf die nachzuhaltende Infrastruktur mit sich ziehen. Dies gilt es spartenübergreifend vorzudenken. 
  • Kurz- bis mittelfristig ist damit zu rechnen, dass Kommunen im Kontext der kommunalen Wärmeplanung (kWP) auf Verteilnetzbetreiber zukommen und um Unterstützung bitten. Die kWP erfordert eine abgestimmte Betrachtung aller Energieträger, um den Wärmebedarfen bestmöglich gerecht zu werden. Sind Versorgungsoptionen durch den Netzbetreiber bereits analysiert, kann das für die Zusammenarbeit mit der Kommune nur von Vorteil sein. 
  • Ob die Vergabe von spartengetrennten Konzessionen Zukunft hat, wird aktuell von vielen Seiten in Frage gestellt. Auch hier geht der Trend in Richtung spartenübergreifenden Ansatz. In diesem Fall muss der Netzbetreiber im zukünftigen Konzessionsvertrag schlüssig erläutern, wie er seine Netze vorteilhaft entwickeln und dabei Synergieeffekte, die sich aus spartenübergreifenden Ansätzen ergeben, heben wird.   

Eine spartenübergreifende Netzentwicklung ist komplex und erfordert viel Abstimmung. Ein Projektablauf könnte wie folgt strukturiert werden:   

  1. Im ersten Schritt erfolgt eine umfassende Analyse der Versorgungsaufgabe, bestehend aus den Kundenstrukturen und Erzeugungseinheiten im betrachteten Netzgebiet. Dieser Status Quo wird mit unterschiedlich ausgeprägten Zukunftsszenarien mit dem Ziel der Klimaneutralität weiterentwickelt und so die individuelle Entwicklung im Netzgebiet hochaufgelöst abgebildet. Trends und Treiber wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Wärmetransformation und die Elektomobilität werden dabei berücksichtigt.
  2. Anschließend werden die konkreten Auswirkungen der Szenarien auf die einzelnen Infrastrukturen untersucht, wobei eine kontinuierliche Verzahnung zwischen den Sparten erfolgt. Dieser iterative und engabgestimmte Prozess ist unablässlich, da jede Änderung in einer Sparte Auswirkungen auf die jeweils anderen Sparten haben könnte. Gemeinsames Ziel ist es, dass die „Zahlen des Gesamtversorgungssystems“ – über die Szenarien abgebildet – „stimmig“ bleiben. 
  3. Anschließend werden die Erkenntnisse in ein alle Sparten einbeziehendes Gesamtbild überführt. Auf dieser Basis setzen im letzten Schritt zwischen den Sparten abgestimmte Maßnahmen zum Erreichen der Zielzustände auf.

Als Verteilnetzbetreiber ein spartenübergreifendes Bild der zukünftigen Versorgungsaufgabe und der entsprechenden Netzstrukturen zu entwicklen, ist für eine nachhaltige Entwicklung des Energieversorgungssystems ein notwendiger Prozess – auch wenn das „Zusammen-Denken“ organisatorisch aufwendig sein mag. Er sollte als zukunftsorientierter Schritt von höheren Managementebenen im Rahmen der Strategiefindung beschlossen und in spartengemischten Projektgruppen erarbeitet werden.

Wir unterstützen Sie gerne dabei! 


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