24.04.2023 | Webmagazin 2023/02 Die Digitalisierung des Energiesystems kommt mit großen Schritten

Dr. Wolfgang Zander | Ulrich Rosen
wolfgang.zander@bet-energie.de

Die Implementierung der Prozesse nach Redispatch 2.0 ist immer noch nicht abgeschlossen und schon stürmt mit dem GNDEW und der Ausgestaltung des § 14a EnWG die nächste Digitalisierungswelle an. Der Termindruck ist hoch, bereits zum 01.01.2024 sollen viele Veränderungen in Kraft treten. Aber die Digitalisierung des Energiesystems ist beileibe nicht die einzige Baustelle neben dem aktuellen Tagessgeschäft. Die verschiedenen Akteure fragen sich daher, wie sie die vielen losen Enden zusammenfügen sollen und was alles sonst noch auf sie zukommt.

Im Vordergrund der Veränderungen stehen aktuell das „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“ kurz GNDEW und ein alter Klassiker, die Ausgestaltung des §14a EnWG - jetzt durch die BNetzA und nicht mehr durch den Gesetzgeber. Weniger prominent, aber ebenfalls wichtig sind Neuerungen in den Marktkommunikationsprozessen in diesem Fall die Einführung des Universalbestellprozesses zum 01.10.2023. Und: nach Redispatch 2.0 ist vor Redispatch 3.0 und weitere Veränderungen sind bereits angekündigt.

Die anstehenden Anpassungen des Ordnungsrahmens fallen nicht vom Himmel, sondern sind erforderlich, um die Dezentralisierung des Energiesystems zu bewältigen. Viele Millionen flexible Verbraucher und Erzeuger, heute oft kurz Flexumer genannt, werden eine insgesamt systemrelevante Leistung erreichen und müssen daher aktiv in das Energiesystem integriert werden. Diese Integrationsleistung ist effektiv nur über eine umfassende Digitalisierung des Energiesystems zu erzielen. Flexumer sind daher der Haupttreiber für die Digitalisierung des Energiesystems und insbesondere der Niederspannungsnetze. Systemintegration bedeutet im Kern, dass einerseits die Systemsicherheit gewährleistet wird und andererseits die Potenziale der Flexumer optimal für Netz und Markt genutzt werden.

Das Last- und Einspeiseverhalten von Flexumern unterscheidet sich signifikant von dem klassischer Kleinverbraucher. Die flexiblen Lasten wie Wärmepumpen und private Ladestationen können einerseits zu hohen Lastspitzen führen. Umgekehrt bietet ihre Flexibilität ein großes Potenzial, um die hochvolatile EE-Erzeugung auszugleichen. Dazu müssen die Unternehmen in ihren jeweiligen Marktrollen ihre Prozesse und IT-Systeme erweitern und automatisieren, um die Beeinflussung des Verbrauchs und der Einspeisung der flexiblen Kundenanlagen massengeschäftstauglich organisiert wird. Die Leitsysteme müssen Zustandsdaten aus den Kundenanlagen verarbeiten und Steuersignale zu den Kundenanlagen senden können. Dazu muss eine sichere bidirektionale Kommunikationsanbindung und eine durchgängige automatisierte Prozesskette vom Leitsystem des sogenannten aktiven Marktteilnehmers (aEMT) über Smart-Meter-Gateway/Steuereinrichtung bis zum Endgerät beim Kunden implementiert werden.

Darüber hinaus sind alle Vertriebe ab 2025 verpflichtet, dynamische Tarife anzubieten. Voraussetzung für deren Bilanzierung und Abrechnung ist aber der Einbau eines intelligenten Messsystems, ebenso wie bei den bis zum Jahr 2030 erwarteten 15-20 Mio Flexumer. Die ¼-h-Bilanzierung wird somit für viele Haushalts- und Gewerbekunden zum Standard. Wurden dynamische Tarife bislang als lästige Pflicht angesehen, so werden sie zeitnah aus dem Nischendasein heraustreten und die Vertriebe vor die Aufgabe stellen, die Chancen dynamischer Tarife im Rahmen digitaler Geschäftsmodelle durch Bewirtschaftung der Flexibilitätihrer Kleinkunden wirtschaftlich zu erschließen.

Auch für die Netzbetreiber stehen grundlegende Änderungen in Richtung einer durchgängigen Digitalisierung an. Ab 2024 müssen sie jede neue Wärmepumpe und Wallbox steuerbar anschließen und bei Netzengpässen die Steuerung auch umsetzen. Bis 2029 können sie dabei noch auf statische Zeitfenster zurückgreifen, danach müssen sie hierfür die Online-Überwachung ihrer Netze bis in die Niederspannungsebene umgesetzt haben. Damit dies funktioniert, müssen zuvor die Netze bis in die Niederspannungsebene durchgängig rechenfähig gemacht werden.

Die Messtellenbetreiber müssen nicht nur den massenhaften Rollout intelligenter Messsysteme umsetzen, sondern für alle Marktakteure den standardisierten Kommunikationsweg für die Steuerbarkeit der Kundenanlagen darüber bereitstellen.

Die Gerätehersteller und Dienstleister der Kunden wie Installateure oder Direktvermarkter müssen die Kundenanlage fit machen für die Teilnahme am Energiemarkt. Letztendlich muss jeder Flexumer mit einem Energiemanagementsystem, kurz EMS, ausgestattet werden, das die flexiblen Verbrauchsgeräte so optimiert, dass ohne Komforverlust des Kunden die markt- und netzseitigen Flexibilitätsanforderungen bedient werden können.

Die Transformation zu einem digitalisierten Energiesystems ist ein längerer Prozess mit vielen Einzelschritten. Um hier den Überblick zu behalten und die notwendigen Einzelschritte zutreffend zu priorisieren, sollte in einem ersten Schritt eine Digitalisierungsstrategie erarbeitet werden, die alle Bereiche des Unternehmens umfasst. Anstatt sich lediglich an der Erfüllung gesetzlich vorgegebener Mindestpflichten zu orientieren, sollte jede Einzelmaßnahme in das Zielbild eingeordnet und priorisiert werden.

Der regulatorische Rahmen ist gerade stark in Bewegung. Damit Sie einerseits den Überblick behalten und andererseits die konkreten Herausforderungen für die einzelnen Marktrollen daraus ableiten können, bieten wir verschiedene Unterstützungsformate an: von einer Webinarreihe bis zu kundenindividuellen Workshops.

Das erste kostenfreie Webinar „Novellierte Rahmenbedingungen zur Digitalisierung im Energiesystem“ findet am 16. Mai 2023 statt.

Programm und Anmeldung


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