14.12.2022 | Webmagazin Digitalisierung

Ulrich Rosen | Partner
ulrich.rosen@bet-energie.de

Explodierende Marktpreise, drohende Versorgungslücken bei Strom und Gas sowie massive militärische Angriffe auf die Versorgungsinfrastruktur der Ukraine zeigten, wie verletzlich unser Energiesystem und damit auch die gesamte Gesellschaft ist. 
In Deutschland haben „erfolgreiche“ Cyberangriffe auf Infrastrukturen, IT-Systeme von Energieversorgern oder deren IT-Dienstleistern bedrohlich zugenommen . Dem wirksamen Schutz gegen Cyberangriffe kommt daher eine wichtige Funktion zu - gerade auch im Kontext der politisch geforderten und systemtechnisch notwendigen Digitalisierung der Energiebranche.

Rollout intelligenter Messsysteme

Das ohnehin schon lange Warten auf eine Beschleunigung des Rollouts ging auch im Jahr 2022 trotz der im Nachgang des OVG-Urteils erfolgten Anpassungen im Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) weiter. Die Hoffnung auf eine nächste und weitergehende Markterklärung des BSI als Anreiz für neue Geschäftsmodelle zumindest bei Erzeugungsanlagen zerplatzte, da die bestehende Allgemeinverfügung am 20.05.2022 vom BSI zurückgezogen wurde. Seitdem fehlten verbindliche Vorgaben für den Pflichtrollout speziell von intelligenten Messsystemen. 

Mit Stand 29.11.2022 wurde nun der Referentenentwurf für das novellierte MsbG unter dem neuen Titel „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“ veröffentlicht. Darin sind signifikante Anpassungen enthalten, die den politischen Anspruch nach Beschleunigung und Vereinfachung in vielerlei Hinsicht erkennbar werden lassen und erheblichen Handlungsdruck gerade auf die grundzuständigen Messstellenbetreiber ausüben.

Positiv zu vermerken ist auch, dass die BNetzA mit dem Festlegungsverfahren BK6-22-128 vom 12.05.2022 erste Pflöcke für bis dahin noch fehlende Anbahnungs-/MaKo-Prozesse für Steuerungsanwendungen eingeschlagen hat. 

Flexibilitäten, Redispatch und MaKo 2022

Auch hinsichtlich der dringend notwendigen Novellierung des § 14a EnWG (steuerbare Verbraucher in Niederspannung) hat die BNetzA mit der Einleitung des Festlegungsverfahrens zur Integration von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen in das Stromnetz am 24.11.2022 erste Inhalte und einen ehrgeizigen Zeitplan vorgelegt. Wir freuen uns, dass viele der durch BET mitentwickelten Ideen zur „Spitzenlastglättung“, wie sie in dem Ende 2021 vom damaligen Wirtschaftsminister Altmeier zurückgezogenen Entwurf des SteuVerG beschrieben sind, von der BNetzA nun wieder aufgegriffen wurden. Im Living Lab Cologne testen wir mit Kooperationspartnern die notwendigen Ende-zu-Ende-Prozesse für die Umsetzung der Steueranwendungen und deren kommerzielle Nutzung in innovativen Geschäftsmodellen.

Die praktische Umsetzung der Prozesse gemäß Redispatch 2.0 zur Jahresmitte war mühsam und ist bis heute noch nicht vollständig abgeschlossen. Es fehlt an nachhaltig qualitätsgesicherten Daten und automatisierten Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen IT-Systemen im eigenen Unternehmen wie auch im Zusammenspiel mit Dritten. Und schon zeichnen sich die nächsten Herausforderungen ab, denn mit Redispatch 3.0 sollen auch Anlagen < 100 kW und steuerbare Lasten schrittweise einbezogen werden – und das sind mehrere Millionen vor allem in den Niederspannungsnetzen. BET bietet hierzu interessierten Unternehmen über das “Verflext-Nochmal”-Netzwerk einen regelmäßigen Austausch und eine fachliche Unterstützung an.

Dagegen verlief die Implementierung der um 6 Monate verschobenen MaKo 2022 zum Oktober vergleichsweise geräuschlos ab, aber Ruhe kehrte deswegen bei IT-Lieferanten und Energieversorgern nicht ein. 

Neue Herausforderungen und altbekannte Risiken

Denn spätestens mit den ersten Vorschlägen der von der Bundesregierung eingesetzten „ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme“ im Oktober wurde klar, dass die IT-seitige Umsetzung der mittlerweile auch in Teilen schon gesetzlich verankerten Soforthilfe Gas, der Mehrwertsteuersenkungen für Gasverbraucher, der Strompreis- und Gaspreisbremse ab 2023 sowie weiterer Regelungen extreme Herausforderungen für IT-Lieferanten und Energieversorger, aber auch für Endkunden bedeutet. Jetzt wird sich zeigen, welche Datenmodelle, IT-Systeme und Organisationen flexibel genug sind, um die Umsetzung komplexer Anforderungen in kürzester Zeit zu gewährleisten.

Aber auch die massiv gestiegenen Marktpreise zeigen sehr eindrucksvoll, wie wichtig tagesaktuelle Verbrauchs-, Erzeugungs- und Bilanzkreisprognosen sind, denn die Ausgleichsenergiepreise sind ebenfalls explodiert und beeinflussen die Beschaffungskosten mittlerweile maßgeblich. Hinzu kommt die Notwendigkeit, Risikozuschläge für Endkunden verursachungsgerecht zu kalkulieren, um im momentan stark gestörten Wettbewerb auf Dauer bestehen zu können. Unser webbasiertes Analysetool „EDGAR“ bietet hierfür vielfältige Analyse- und Pricing-Funktionen.

Trotz oder gerade wegen dieser harten Einschnitte konnten wir 2022 viele spannende Projekte und auch neue Geschäftsmodelle im Bereich Smart City und der Vermarktung digitaler Infrastruktur umsetzen und auch im kommenden Jahr werden die vorstehenden Themenschwerpunkte wieder eine wichtige Rolle in unseren Beratungsprojekten spielen.
 


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