23.04.2024 | Webmagazin 2024/02 Dynamische Tarife - Lästige Pflicht oder Treiber für die Flexibilisierung des Endkundenmarkts?

Viele EVUs stellen sich die Frage: nur gesetzliche Anforderungen erfüllen oder ein attraktives Endkundenprodukt mit Mehrwerten schaffen? Anna Kohlmann | Lasse Blaume
anna.kohlmann@bet-energie.de

Ab dem 01.01.2025 sind alle Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, dynamische Tarife anzubieten, wenn bei ihren Kunden ein intelligentes Messsystem eingebaut ist. Sie stehen nun vor der Frage, welche Mindestanforderungen zu erfüllen sind, wie die Produkte für Endkunden und das eigene Unternehmen attraktiv gestaltet werden können und welche Hürden überwunden werden müssen.

Der Markt kommt ins Rollen

Basierend auf der gesetzlichen Verpflichtung nach § 41a EnWG kommt zunehmend Bewegung in das Angebot von dynamischen Tarifen. Das Spektrum reicht von einfachen Tarifen mit 1:1-Weitergabe der Börsenpreise bis hin zu komplexen Tarifen in Kombination mit Mehrwertdienstleistungen, die Endkunden bei der Flexibilisierung ihres Energiesystems unterstützen. Im einfachsten Fall werden die Tarife aus Monatsmittelwerten der EPEX-Spotpreise gebildet. In komplexeren Tarifen kommen Preisformeln zur Anwendung, die auf stündliche EPEX-Spotpreise referenzieren und teilweise zusätzlich mit Preisober- und/oder Preisuntergrenzen versehen sind. 

Komplettangebote für Kunden

Komplettangebote bieten Endkunden die Möglichkeit, mit Hilfe von Home-Energy-Management-Systemen (HEMS) und dem Monitoring der Energieflüsse Interesse für energiewirtschatliche Zusammenhänge zu wecken und aktiv an der Energiewende zu partizipieren. Durch einen marktorientierten Strombezug und die Optimierung des Energiesystems können Lastspitzen in Zeiten mit hoher Einspeisung erneuerbarer Energien und damit meist verbundener niedriger – teilweise sogar negativer – Preise verschoben werden. Spezialisierte Energieanbieter bieten dem Endkunden alles aus einer Hand: den dynamischen Tarif, die Energiewendeanlagen (PV, Speicher, Wallbox, Wärmepumpe), das HEMS und zur Abrundung das Kundenportal/App für die emotionale User Experience. Der Anbieter kann damit eine langfristige Kundenbindung erreichen und Synergien in den eigenen Prozessen schaffen, z.B. durch den Einsatz eines überregionalen wMSB und eine geschickte Preisgestaltung für das Gesamtpaket.

Anforderungen an die Versorger

Um einen dynamischen Tarif anbieten zu können, ist die systemseitige Abrechenbarkeit sicherzustellen und die Kundenkommunikation vorzubereiten. Die technische Basis bildet das intelligente Messsystem, mit möglicher Ergänzung eines vorhandenen oder in Kooperation mit dem MSB bereitgestellten HEMS. Die Tarife basieren auf der Weitergabe der EPEX-Day-Ahead-Preise und einem fixen oder prozentualen Aufschlag, der die Kosten des Lieferanten abbildet. Voraussetzung für die Abrechnung und Preistransparenz in Richtung Endkunde ist die Anbindung an die Preisdaten über Datendienstleister. Für die Umsetzung müssen Preis- und Verbrauchsinformationen zusammengeführt werden. Entsprechend sind Anpassungen im Energiedatenmanagement, im Abrechungssystem und perspektivisch im Portfoliomanagementsystem zu berücksichtigen. Alternativ kann auch auf Dienstleister zurückgegriffen werden, die entsprechende Lösungen unabhängig von Bestandssystemen anbieten.

Dienstleister für die Umsetzung

Wer dem Kunden die Börsenpreise nicht nur über einen Link auf seiner Homepage bereitstellen möchte, sondern auf automatische Prozesse und ein Kundenportal setzt, kann auf Dienstleister zurückgreifen, die die komplette Umsetzung der dynamischen Tarife z. B. als White Label Lösung gestalten. Bis 2025 ist zu erwarten, dass weitere Entwicklungen umgesetzt werden, die bisher teilweise auf manuellen Schnittstellen beruhen und die operative Umsetzung nahezu unmöglich machen. Daher sollten Versorger sich rechtzeitig die Frage stellen, ob die genutzten Systeme ausreichend vorbereitet sind.

Lästige Pflicht oder Treiber für die Flexibilisierung des Endkundenmarktes?

Energieversorger können mit dynamischen Tarifen als Energiewendehelfer den Treiber für die Flexibilisierung des Endkundenmarktes anbieten. Die dafür notwendigen Schritte stellen sowohl vertriebliche als auch technische Herausforderungen dar, bieten aber langfristig die große Chance, die Digitalisierung im Energiesystem voranzutreiben. Sich rechtzeitig mit der Ausgestaltung des Angebots zu befassen und eine langfristige Umsetzungsroadmap für die Komplettlösung aufzustellen, gehört ins Pflichtenheft eines jeden innovativen Energieversorgers und sollte daher nicht als Risiko, sondern als Chance gesehen werden.
 


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