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21.09.2022 | Webmagazin 2022/04 Wie Stadtwerke dem Fachkräftemangel begegnen können

12 Thesen, wie EVU weiterhin hochqualifiziertes Personal finden Sebastian Seier | Fiona Lecour | Mirja Hammer
sebastian.seier@bet-energie.de

Neben der Entwicklung neuer (klimaneutraler) Geschäftsmodelle ist der Fachkräftemangel die zentrale strategische Herausforderung für Stadtwerke und das Gelingen der Energiewende. Insbesondere Handwerker*innen sind rar gesät, was wichtige Investitionsprojekte und neue Geschäftsmodelle gefährden kann. Doch Energieversorger sind der Entwicklung nicht hilflos ausgeliefert. Höchste strategische Bedeutung hat eine gut aufgestellte Personalabteilung.

Neben der Entwicklung neuer (klimaneutraler) Geschäftsmodelle ist der Fachkräftemangel die zentrale strategische Herausforderung für Stadtwerke und das Gelingen der Energiewende. Insbesondere Handwerker*innen sind rar gesät, was wichtige Investitionsprojekte und neue Geschäftsmodelle gefährden kann. Doch Energieversorger sind der Entwicklung nicht hilflos ausgeliefert. Höchste strategische Bedeutung hat eine gut aufgestellIm August verkündete das ifo Institut, dass der Fachkräftemangel in Deutschland mal wieder ein neues Allzeithoch erreicht hat. 50 % der Unternehmen waren demnach von einem Engpass an qualifiziertem Personal betroffen. Auch in der Energiewirtschaft gestaltet sich die Suche nach Fachkräften in vielen Berufszweigen immer schwieriger.

In ihrer Engpassanalyse untersucht die Agentur für Arbeit jährlich die Situation in zahlreichen Berufen. Hierfür errechnet die Behörde auf Basis unterschiedlicher Faktoren einen Engpassindex, der sich zwischen den Werten 0 (sehr weit entfernt von Anzeichen eines Engpasses) bis 3 (Anzeichen eines Engpasses) bewegt. Eine BET-Auswertung zeigt, welche Bereiche der Energiewirtschaft vom Personalmangel am stärksten betroffen sind.Angeführt wird die Liste der über 230 untersuchten Fachkräfteberufe von den in der Energiewirtschaft händeringend gesuchten Tief- und Leitungsbauer*innen. Auch Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker*innen, die u. a. für den Hochlauf der Wärmepumpentechnologie eine essenzielle Rolle spielen, gehören eindeutig in die Kategorie der Berufe mit deutlichen Anzeichen eines Engpasses. Erste Anzeichen eines Engpasses sind zudem im Bereich der Wasser- & Abwassertechnik, bei Elektrotechniker*innen sowie in der IT zu finden.

Vor allem zwei Faktoren lassen erwarten, dass sich die Situation am Arbeitsmarkt auch mittel- und langfristig kaum entspannen wird. Zum einen ist das die sogenannte Bildungsinflation, d. h. dass immer mehr Schüler*innen auf das Gymnasium gehen und studieren, während immer weniger Jugendliche eine Realschule besuchen und sich anschließend für eine Ausbildung entscheiden. Zum anderen wird auch das langfristige Schrumpfen der Bevölkerung den Fachkräftemangel verstärken. Laut Statistischem Bundesamt geht die Bevölkerungszahl in einem moderaten Szenario in Deutschland bis 2040 um . eine Million und bis 2060 um 5 Mio. Menschen zurück.

Wie können also Energieversorger auf den sich ausweitenden Fachkräftemangel reagieren? Klar ist: neben der Energiewende ist der Fachkräftemangel die zentrale strategische Herausforderung für den langfristigen Erfolg von Versorgungsunternehmen. BET hat 12 Thesen aufgestellt, welche Strategien Abhilfe schaffen können:

  • These 1: Die Personalabteilung wandelt sich von der „Unterstützungsfunktion“ zum strategischen Brennpunkt.
    Um Personal gewinnen und halten zu können, ist eine gut besetzte Personalabteilung unabdingbar. In Zukunft wird es immer wichtiger, den Mitarbeiter*innen aktiv Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen, individuelle Lösungen für die Work-Life-Balance zu finden und den „Personalkörper“ nicht nur zu verwalten, sondern die Menschen individuell zu begleiten und als persönliche*r Ansprechpartner*in zu fungieren. Dies erhöht den Aufwand für die Personalabteilung deutlich.
  • These 2: Die Strategische Personalplanung muss fester Bestandteil der Unternehmensstrategie werden.
    Nur so kann unter Berücksichtigung der massiven Veränderungen der Energiewirtschaft, der Altersstruktur im Unternehmen und der vorhandenen und benötigten Kompetenzen der individuelle Handlungsbedarf identifiziert werden.
  • These 3: Die „Employee-Journey“ von Anfang bis Ende denken.
    Von der Personalsuche bis zur Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses muss die Personalabteilung die positiven Kontaktpunkte zwischen Bewerber*innen bzw. Angestellten und der Personalabteilung maximieren. Das kann sich von der unkomplizierten Gestaltung des Urlaubsantrags bis zu einem wertschätzenden Off-boarding erstrecken.
  • These 4: Der Einstellungsprozess ist die Visitenkarte eines Unternehmens.
    Über einen professionellen und menschlichen Einstellungsprozess bilden sich Bewerber*innen ihren ersten Eindruck von dem Unternehmen. 
  • These 5: Kompetenzen sind wichtiger als Fachwissen.
    In einer sich dynamisch verändernden Welt ist die Fähigkeit, neue Themen zu erschließen, wichtiger als einmal gelerntes Wissen. Bei der Auswahl von Mitarbeiter*innen sollten deshalb Persönlichkeit und Kompetenzen ein hohes Gewicht haben.
  • These 6: Auf das Fachkräftepotenzial von Frauen setzen.
    Obwohl Frauen durchschnittlich ein höheres Bildungsniveau erreichen als Männer, ist ihr Anteil am Arbeitsmarkt generell und an Führungspositionen im speziellen geringer. Die immer noch vorhandene Ungleichheit am Arbeitsmarkt beeinträchtigt die Nutzung dieses so wichtigen Fachkräftepotenzials. Stadtwerke können mit ihrer Unternehmenskultur, Ausbildungs-, Talentprogrammen u. ä. aktiv dazu beitragen, dass Frauen und Männer chancengleich am Erwerbsleben teilnehmen können.
  • These 7: Bei der Personalgewinnung auch Bevölkerungsgruppen, die in vielen Stadtwerken unterrepräsentiert sind, mit erweitertem Angebot ansprechen.
    Migrant*innen sind in vielen Unternehmen deutlich seltener angestellt, als es ihr Anteil an der Bevölkerung erwarten lassen würde. Für Stadtwerke kann diese diverse Gruppe großes Potenzial bieten – von jungen Geflüchteten mit Interesse an einem Ausbildungsplatz im Handwerk, die zusätzlich mit Sprachkursen oder Mentoring-Programmen unterstützt werden können, bis zur fertig ausgebildeten Fachinformatikerin, die zum Umzug in die Region bewegt werden könnte.
  • These 8: Ausbilden. Ausbilden. Ausbilden.
    Nach Möglichkeit sollten Stadtwerke über Bedarf ausbilden, um auf ausreichend Nachwuchskräfte zurückgreifen zu können. Bei der (schwierigen) Gewinnung von Azubis ist eine regelmäßige Präsenz in Schulen (Realschulen genauso wie Gymnasien) und an Universitäten (Studienabbrecher*innen genauso wie Absolvent*innen) hilfreich.
  • These 9: Fachkräftemangel führt über kurz oder lang zu steigenden Personalkosten.
    Der Arbeitsmarkt hat sich zum Arbeitnehmermarkt gewandelt, auf dem sich begehrte Fachkräfte den Arbeitgeber frei auswählen können. Der Spielraum der Tarifverträge und außertarifliche Bezahlungen müssen genutzt werden, um als Arbeitgeber wettbewerbsfähig zu bleiben. Neben dem Gehalt sind auch „weiche“ Faktoren wie Arbeitsbedingungen und flexible Arbeitszeitmodelle entscheidend.
  • These 10: Auch nach einer Trennung Kontakt zu ehemaligen Mitarbeiter*innen nicht gänzlich verlieren.
    Xing oder LinkedIn bieten gute Möglichkeiten, auch über das Beschäftigungsende hinaus mit ehemaligen Kolleg*innen in Kontakt zu bleiben. Dies verbessert die Chancen auf eine Rückkehr zum alten Arbeitgeber – und der Rückgewinnung einer Fachkraft, die dann um einige Erfahrungen reicher ist.
  • These 11: Die Eingliederung eines Handwerksunternehmens sichert wichtige Personalressourcen.
    Einige Stadtwerke haben bereits lokale Handwerksunternehmen gekauft, um hart umkämpfte Kapazitäten an sich zu binden. Hierbei ist jedoch sicherzustellen, dass die Kommunalordnung einem solchen Schritt nicht entgegensteht.
  • These 12: Kooperationen mit anderen Stadtwerken verbessern die Ausgangslage.
    Insbesondere für viele kleine Stadtwerke sind gute Fachkräfte kaum zu bezahlen. Über Kooperationen können sich jedoch die Unternehmen Personal mit anderen Stadtwerken teilen. In einem weiteren Schritt wäre auch eine gemeinsame Kooperationsgesellschaft denkbar, in die wissensintensive Arbeiten (digitale Geschäftsmodelle, technische Dienstleistungen etc.) ausgelagert werden. Dies ermöglicht auch übertarifliche Entlohnungen der Angestellten.

Mehr zum Thema: Engpassanalyse (Bundesagentur für Arbeit)


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