19.06.2023 | Webmagazin Wenn der digitale Zwilling hinkt – ohne Daten keine aussagekräftigen Ergebnisse

Wie alle Tools muss er richtig gefüttert und gepflegt werden, um langfristig zuverlässige Ergebnisse zu liefern Dr. Bärbel Wicha-Krause | Jérôme Poos | Boris Kreft
baerbel.wicha-krause@bet-energie.de

Wie kann der digitale Zwilling den größtmöglichen Mehrwert für die Digitalisierung liefern? Die Digitalisierung erfordert den Einsatz neuer Tools, Technologien und Innovationen, die aber nur dann helfen, wenn sie richtig eingesetzt, konsistent integriert und mit Daten gefüttert werden. 

Ein digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild eines realen Objekts oder Systems in der digitalen Welt. Dabei ist es unerheblich, ob das reale Gegenstück bereits existiert oder zukünftig erst existieren wird. Die Abbildung kann den gesamten Lebenszyklus eines Objekts umfassen, wird mit Stamm- und Zustandsdaten gespeist und mit Echtzeitdaten aktualisiert. Auf der Grundlage dieser Daten wird der Zustand des digitalen Zwillings mit Hilfe komplexer Algorithmen und künstlicher Intelligenz berechnet. Der Abgleich mit der Realität verbessert die Abbildung, kann zur Erkennung von Störungen dienen und bereitet eine Simulation des zukünftigen Verhaltens z.B. bei Eintreten von äußeren Ereignissen (z.B. Stresstests) vor. Auf diese Weise können Schwachstellen, Engpässe und Probleme innerhalb eines Prozesses oder Systems bereits vor der Implementierung oder dem Bau und im Betrieb erkannt werden.

Digitale Zwillinge werden in der Energiewirtschaft zunehmend eingesetzt, um komplexe Infrastrukturen wie beispielsweise Strom-, Gas- und Wärmenetze detailliert abzubilden. Sie helfen dabei, Netzberechnungen und -Planungen für verschiedene Zeithorizonte durchzuführen, Störungen frühzeitig zu erkennen und den operativen Betrieb zu verbessern. Darüber hinaus können energiewirtschaftliche Systeme vor dem Hintergrund unterschiedlicher Szenarien (Wärmewende, Klimaneutralität, Hochlauf EE und Elektromobilität) bewertet werden.

Um einen digitalen Zwilling nutzen zu können, müssen zunächst die Grundlagen geschaffen werden. Dazu gehört die Erstellung eines virtuellen Modells und die Definition der notwendigen Daten und Wirkzusammenhänge, um die (ggf. zukünftige) Realität bestmöglich abbilden zu können. Die größte Herausforderung dabei ist oft die Bereitstellung der Input-Daten in ausreichender Qualität. Jede kleine Ungenauigkeit bspw. bei den erfassten Leitungscharakteristika im Netz führt zu einer verfälschten Zustandsschätzung und damit zu unzuverlässigen Ergebnissen hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens. Der Zwilling „hinkt“ im übertragenen Sinne. 

Zur Kalibrierung muss das Modell laufend mit Bewegungs- und Echtzeitdaten aktualisiert werden, was bspw. eine Erweiterung der Mess- und Steuertechnik durch die Integration von intelligenten Messsystemen und neuer Sensorik erfordern kann.

Damit der digitale Zwilling seine Möglichkeiten voll entfalten kann, muss er also mit genügend Daten in ausreichender Qualität gefüttert werden. In der Praxis liegen die benötigten Daten meist verschachtelt an verschiedenen Stellen ohne konkreten Zusammenhang, oft mehrfach und zudem inkonsistent vor. Eine gründliche Analyse der Datenstruktur, die Lokalisierung vorhandener und die Identifikation fehlender Daten steht daher vor der Einführung jeder Technologie wie der des digitalen Zwillings.


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