19.06.2023 | Webmagazin 2023/03 Kernerkenntnisse aus unseren Netzplanungsprojekten

Warum sich die Stromnetzplanung den einfachen und schwierigen Fragen widmen muss Dr. Sören Patzack | Dr. Markus Kraiczy | Kevin Löer
soeren.patzack@bet-energie.de

Die aktuelle Debatte rund um das zukünftige Energiesystem wird sehr hitzig geführt. Erreichen wir die Klimaneutralität 2045? Wie schnell kann das Fernwärmenetz ausgebaut werden? Wie sieht die Zukunft des Gasnetzes aus, und welche Rolle spielt hierbei Wasserstoff? Stromnetzplaner*innen können sich zumindest bei dieser Fragestellung entspannt zurücklehnen, denn eine Antwort steht für sie bereits fest: Das Stromnetz muss mit massiven Investitionen ausgebaut werden.

Um zu beantworten, wie hoch der Handlungsbedarf ist, welche Maßnahmen erforderlich sind und welche Kosten auf den Netzbetreiber zukommen, ist eine Zielnetzplanung sowie Ableitung einer langfristigen Netzentwicklungsstrategie heute deswegen so wichtig wie nie zuvor. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt, und über § 14d EnWG eine Vielzahl neuer Anforderungen an Netzausbaupläne gestellt, um eine strategische Langfristplanung anzureizen.

Die Netzplanung steht zunächst vor der Herausforderung, die Geschwindigkeit des Zubaus von Anlagen auf Basis erneuerbaren Energien, von privater bis öffentlicher Ladeinfrastruktur oder dezentralen sowie zentralen Wärmepumpen zu prognostizieren. Hochregionalisierte Szenarien sind essenziell, um zukünftige Handlungsbedarfe realitätsnah abschätzen zu können. Da die Zukunft in hohem Maße unsicher ist, sollten verschiedene Szenarien mögliche Pfade auf dem Weg zur Klimaneutralität abdecken.

Nach Identifikation möglicher Engpässe in den ermittelten Szenarien über Netzsimulationen stellt sich anschließend die Frage nach den richtigen Werkzeugen zur Behebung. Wie konventionell und wie innovativ und digital sieht das Netz der Zukunft aus? Welchen Effekt haben Instrumente wie Spitzenkappung, Lastmanagement auf Basis § 14a EnWG oder regelbare Ortsnetztransformatoren? Kann über eine optimierte Nutzung von Traforegelkonzepten oder Blindleistung ein Teil des erforderlichen Netzausbaus bereits abgefangen werden? Wichtig ist es, für das individuelle Netz die Lösungen zu identifizieren, die bei vertretbarem Aufwand einen hohen Nutzen haben.

Nach Auswahl von sinnvollen Maßnahmen interessieren sich spätestens die Kaufleute für die Gesamtkosten. Aber auch hier liegt der Teufel im Detail – es muss bewertet werden, ob die aktuellen Preissteigerungen nur von kurzer Dauer sind, oder Lieferkettenengpässe, Materialpreise sowie Fachkräftemangel auch langfristig zu einem deutlich erhöhten Preisniveau führen. Auch die Synergien zwischen Erweiterungs- und Ersatzinvestitionen sind zu berücksichtigen, um einen plausiblen Gesamtbedarf abzuschätzen.

Aus einer Vielzahl an Zielnetzplanungen in den letzten Monaten haben wir folgende Kernerkenntnisse gewonnen:

  • Eine hohe Datenqualität ist essenziell, um plausible Ergebnisse zu erzielen. Somit sind eine umfassende Datenprüfung und teilweise Datenbereinigungen zu Projektbeginn erforderlich.
     
  • Die Versorgungsaufgabe wird sich in den nächsten Jahren massiv verändern. Eine Erhöhung der Spitzenlast um den Faktor 2 bis 3 in den nächsten zehn Jahren ist nicht ausgeschlossen.
     
  • Die Wärmewende hat einen erheblichen Einfluss auf die Strom-Netzentwicklung. Eine Abstimmung zwischen den verschiedenen Sparten wird immer wichtiger für eine ganzheitliche Netzentwicklung.
     
  • Zukünftig sind deutlich mehr Umspannwerkskapazitäten erforderlich. Hierfür sind die Identifikation geeigneter Flächen sowie eine frühzeitige Abstimmung mit vorgelagerten und benachbarten Netzbetreibern notwendig.
     
  • Insbesondere in 10-kV-Netzen kann der Planungs-Werkzeukasten an seine Grenzen kommen. Der Aus- bzw. Neubau einer zusätzlichen 30-kV-Ebene ist eine Option zur Entschärfung.
     
  • Der Betriebsmittel-Werkzeugkasten muss abhängig vom Netzbetreiber individuell ausgestaltet werden (bspw. städtisch/ländlich, Standardbetriebsmitteltypen, Vorbelastungen). Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen – einige Betriebmittel oder Betriebskonzepte passen einfach nicht.
     
  • Die Definition von frühzeitigen Triggerpunkten für Maßnahmen kann eine Option sein, um mit der hohen Unsicherheit der zukünftigen Versorgungsaufgabe umzugehen. 
     
  • Die Anschlussfähigkeit einer Zielnetzplanung ist für die kaufmännische/regulatorische Bewertung essenziell und sollte von vornherein mitgedacht werden.

Wenn Sie diese Erkenntnisse mit uns diskutieren möchten – sprechen Sie uns gerne an!
 


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