20.09.2023 | Webmagazin Klimaneutraler Netzbetrieb, ahoi!

Dekarbonisierungsstrategie für Netzbetreiber: zum Klimaschutz beitragen und im Konzessionsverfahren punkten Sebastian Seier | Ralf Westermann
sebastian.seier@bet-energie.de

200 Tonnen CO2 pro Jahr für den Betrieb von Gasdruckregelanlagen, bis zu 5.000 Tonnen CO2 durch Stromnetzverluste – das sind typische Werte für die Emissionen von Gas- und Stromnetzen in mittelgroßen Städten in Deutschland. Das EnWG fordert den treibhausgasneutralen Netzbetrieb; und das hat Auswirkungen auf die Netzbetreiber und Konzessionsverfahren.

„Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente, umweltverträgliche und treibhausgasneutrale leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität, Gas und Wasserstoff, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.“
- § 1 Abs. 1 EnWG –

Geht es nach dem Energiewirtschaftsgesetz (und danach geht es in der Energiewirtschaft eigentlich immer), müssen Energieversorger und Netzbetreiber immer mehr Ziele unter einen Hut bringen. Jüngster Neuzugang ist dabei die Treibhausgasneutralität.

Insbesondere Netzbetreiber und Kommunen, die sich gerade in einem Konzessionsverfahren befinden, können den § 1 EnWG im Schlaf aufsagen, orientiert sich doch die Konzessionsvergabe inhaltlich maßgeblich an den dort aufgezählten Zielen.

Die Ergänzung der Treibhausgasneutralität wirft jedoch sowohl für Bieter als auch für Vergabestellen Fragen auf: 

1.    Geht es im Kontext von Konzessionen um einen klimaneutralen Netzbetrieb oder um den Betrieb klimaneutraler Netze? 

2.    Wie grenzen sich Umweltverträglichkeit und Treibhausgasneutralität voneinander ab?

Zur ersten Frage: Da es Netzbetreibern durch die regulatorische Entflechtung – lapidar gesagt – egal sein muss, ob durch ihre Netze z. B. Kohle- oder Ökostrom bzw. Erdgas oder Biomethan fließt, kann es bei den Konzessionsverfahren nur um den klimaneutralen Netzbetrieb gehen.

 Also: wie können Stromnetzverluste möglichst reduziert oder wenigstens treibhausgasneutral ausgeglichen werden, wie kommen Monteur*innen emissionsfrei zu ihren Baustellen, mit welchen Verlegetechniken und Maschinen werden Tiefbaurbeiten klimaneutral und wie können die Eigenverbräuche und Ausgasungen von Gasdruckregelanlagen reduziert werden? Nicht zuletzt ist auch „die Verwaltung“ des Netzbetriebs in den Blick zu nehmen, wo neben gut gedämmten Büroräumen auch z. B. energiesparende LED-Beleuchtung und Umweltschutzpapier in Druckern zum Standard gehören sollten.

Zur zweiten Frage: Insbesondere die Vergabestellen sollten in der Ausschreibung von Konzessionen auf die Abgrenzung von Umweltverträglichkeit und Treibhausgasneutralität achten. Waren bspw. in der Vergangenheit Angaben zu den Emissionen des Fuhrparks eines Netzbetreibers Teil des Kapitels zur Umweltverträglichkeit, gehören sie nun – der oben dargestellten Logik folgend – zu den Ausführungen zur Klimaneutralität des Netzbetriebs. Bei der Umweltverträglichkeit verbleiben Themen wie z. B. der baumschonende Tiefbau oder die Biodiversität auf unternehmenseigenen Grünflächen. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Treibhausgasneutralität als zusätzliches Ziel neben die Umweltverträglichkeit gestellt hat, muss dabei angemessen Berücksichtigung finden: Das nun sechste Ziel ist kein „Unterkapitel“ der Umweltverträglichkeit, sondern verdient gesonderte Beachtung (so wie auch die „Effizienz“ kein Teilaspekt der „Preisgünstigkeit“ ist). Dies betrifft die inhaltliche Ausgestaltung des Themas wie auch eine angemessene Gewichtung im Kanon der sechs Ziele. Einfach die ca. 10 Prozentpunkte, die im Rahmen der relativen Gewichtung der bisherigen 5 Ziele auf die Umweltverträglichkeit entfielen, nun auf Umweltverträglichkeit und Tribhausgasneutralität zu verteilen, dürfte der Idee nicht gerecht werden. Jedes der 5 etablierten Ziele wird ein paar Pünktchen für das neue Kriterium abgeben müssen.

Für Netzbetreiber bedeutet der Zusatz zur Treibhausgasneutralität zudem, dass sie frühzeitig eine Treibhausgasbilanz erstellen und eine Dekarbonisierungsstrategie ableiten sollten. Erstens bringen eine sauber aufgestellte Bilanz und eine fundierte Strategie zusätzliche Punkte im Konzessionsverfahren. Zweitens ist der Aufwand für eine Konzessionsbewerbung schon hoch genug. Da freut sich jeder Netzbetreiber, wenn er nicht nebenher noch erstmalig eine Treibhausgasbilanz aufstellen muss.

Es zeichnet sich ab, dass Vergabestellen in Konzessionsverfahren das neue Ziel elegant und (für sie) „einfach“ bedienen, indem sie vom Netzbetreiber ein Konzept zur Erreichung des treibhausgasneutralen Netzbetriebs fordern. Die Gliederung eines solchen Konzepts könnte etwa so aussehen: 

  1. Definition der Systemgrenzen (Was gehört zum „Netzbetreiber“?)
  2. Emissionsquellen (innerhalb der sogenannten „Scopes“)
  3. Status Quo („Eröffnungsbilanz“)
  4. Ziel (Null- oder gar Negativemissionen) und Zeitschiene (bis 2035? 2045?)
  5. Maßnahmen sowie Meilensteine unterwegs


Aber auch wenn kein Konzessionsverfahren ansteht, erscheint es angesichts der Herausforderungen der Energiewende ratsam, dennoch eine Dekarbonisierungsstrategie zu entwickeln. Durch proaktives Handeln vermeiden Unternehmen, zu Getriebenen zu werden.

Im Rahmen des vom BMWK geförderten Netzwerkprojekts „Klimawerke“ arbeitet BET mit insgesamt 19 Stadtwerken und Netzbetreibern an einem praxisnahen Werkzeugkasten für Dekarbonisierungsstrategien in der Energiewirtschaft. Wenn auch Sie das Thema beschäftigt oder ein Konzessionsverfahren ansteht, teilen wir unsere Erfahrungen gerne mit Ihnen!

Klimawerke


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