19.06.2023 | Webmagazin 2023/03 Zwischen Redispatch 1.0 und 3.0 – wo stehen wir überhaupt?

Herausforderungen bei der vollständigen Einführung von Redispatch 2.0 Dr. Bärbel Wicha-Krause | Dr. Sören Patzack | Boris Kreft
soeren.patzack@bet-energie.de

Im Zuge der Umsetzung von Redispatch 2.0 hat sich die enorme Komplexität des Ansatzes offenbart. Nach nunmehr fast 2 Jahren „Verzug“ stellen sich zwei ziemlich simple Fragen: Warum sind wir eigentlich so spät dran? Und warum können wir jetzt nicht einfach die Füße hochlegen und die Sache ruhig angehen?

Rekapitulieren wir kurz, wie alles begann – im Mai 2019 wurde mit NABEG 2.0 die Grundlage für die verpflichtende Umsetzung von Redispatch 2.0 für praktisch alle Netzbetreiber und Anlagenbetreiber > 30 kW zum 01.10.2021 gelegt. Die grundsätzliche Idee bestand darin, Redispatch 1.0 für ÜNBs und konventionelle Erzeuger sowie die bestehenden Einspeisemanagement-Regelungen (nicht planwertbasiert, sondern ad-Hoc) für EEG- und KWKG-Anlagen zusammenzuführen. So waren auf einen Schlag alle Netzbetreiber und fast 200.000 Erzeugungsanlagen betroffen.

Redispatch 2.0 führte zu einer explosionsartigen Steigerung der Komplexität im Zusammenwirken der Netz- und Anlagen-Betreiber. Die erste Beschreibung der Rollen, Prozesse und Kommunikationsanforderungen in der BK6-20-59 und den entsprechenden BDEW-Leitfäden erwies sich als teilweise lückenhaft sowie nicht präzise genug, sodass unterschiedliche Interpretationen möglich waren. Viele theoretische Annahmen erwiesen sich in der Praxis als nicht immer zutreffend, wie beispielsweise die Korrektheit des MaStR, der Zeitplan des Rollouts intelligenter Messsysteme oder generell die Messbarkeit bzw. Steuerbarkeit von Anlagen, die bei der Definition der Prozesse zugrunde gelegt wurden. Die Sorge um die Netzstabilität führte wiederholt zur Verschiebung der Termine, zur sogenannten Übergangslösung, Verlängerung der Übergangslösung, Quasi-Verlängerung der Übergangslösung – kurzum, die Branche ist heute noch nicht fertig. 

Zur Minderung der Komplexität wurden im Laufe der Zeit verschiedene Vereinfachungen vorgenommen. Ein paar Beispiele: Redispatch 2.0 ist zunächst auf Erzeuger > 100kW beschränkt. Es gibt zu einem Zeitpunkt für eine Anlage nur einen anfordernden Netzbetreiber. Kalkulatorische Kosten für EE-Anlagen müssen nur noch gemeldet werden, wenn sie vom Standard abweichen. Und die Kommunikation der zukünftigen Daten kann auf 60 zukünftige Stunden ausgedehnt werden und muss damit seltener erfolgen. Mit der Zeit wurden auch fehlende Prozesse wie z. B. der EIV-Wechsel designt – damit stieg die Komplexität jedoch weiter an.

Die Übergangslösung, bei der in Anlehnung an EINSMAN (das doch eigentlich durch Redispatch abgelöst werden sollte) der Bilanzkreisverantwortliche (BKV) für die durch eine Redispatch-Maßnahme verursachte Ausgleichenergie finanziell kompensiert wird, erforderte eine erweiterte Kommunikation mit Lieferant und BKV und förderte ein anderes Problemfeld zu Tage, nämlich die zeitraubende Berechnung und das Clearing der Ausfall-Arbeit, was zur Einführung einer Abschlagszahlung für den Lieferanten/BKV führte. Im Zuge der Energiekrise wurde die Erlösabschöpfung und insbesondere die Erlösabschöpfungsmeldung durch den Anlagenbetreiber eingeführt, die neben der Ist-Einspeisung auch eben jene Ausfallarbeit, die aktuell oft noch nicht gesichert vorliegt, beinhalten muss. 
Es lässt sich also insgesamt festhalten: Die Einführung von Redispatch 2.0 wurde durch die gesamte Branche unterschätzt, und die Komplexität sowie der damit verbundene Abstimmungsaufwand für die Einführung konnte von keinem Akteur vorhergesehen werden. Aus diesem Grund (und weil zwischendurch die Aufmerksamkeit der Energieversorger auf dringendere oder zeitkritische Themen wie die Energiepreiskrise sowie Gasmangellage gezogen wurde) stehen wir aktuell maximal bei einem Redispatch 1.5. Dass bereits von einigen Akteuren Redispatch 3.0 diskutiert wird, mag da etwas erstaunlich klingen. 

Neben der Berücksichtigung des rasanten Ausbaus der erneuerbaren Energien und damit erwartbaren Netzengpässen ist die Verzahnung des Redispatch 2.0 mit den neuen Instrumenten der Steuerung von Verbrauchsanlagen essenziell, wie es bspw. mit § 14a EnWG für Ladepunkte, Wärmepumpen oder Batteriespeicher im Niederspannungsnetz vorgesehen ist. Schließlich werden ähnliche Prozesse (Stammdatenbereitstellung, Engpassprognose, Maßnahmendimensionierung, Abruf, ggf. Bilanzierung) dann für weitere Millionen von Kleinstanlagen eingeführt werden müssen. Die Wechselwirkungen zwischen den Instrumenten liegen auf der Hand. Eine durchgängige Digitalisierung in allen Netzbereichen sowie Skalierbarkeit und Massengeschäftstauglichkeit sind somit unverzichtbar. 

Es wird also klar: „Füße hochlegen“ ist gerade nicht drin. Wenn wir nicht mit voller Kraft weiter an der Umsetzung von Redispatch 2.0 arbeiten, dann fliegt uns der Laden in den nächsten Jahren um die Ohren. Betrachten wir die letzten zwei Jahre also als Warmlaufen – das große Finale folgt erst noch!


Weitere Informationen: BET VerFlext-Nochmal Netzwerk


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